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Day of Candlelight

Rede von Friederike Rosenfeld am Tag des „candle lighting“, 09.12.2002 in der Kapelle des Waldfriedhofes Lauheide

Gedanken zum Sterben, zum Tod und zum Tod nach Vorschrift

Wenn ein Mensch stirbt, kann er zu Lebzeiten noch so einen miesen Charakter gehabt haben, er wird auf einen Sockel gestellt. Die Angehörigen, egal wie sehr sie unter dem Toten gelitten haben mögen, stehen weinend und in Trauerkleidung in der Kirche, um ihm das letzte Geleit zu geben. Kein Pfarrer wird sagen: „Er war ein Schwein, er hat seine Frau und seine Kinder geschlagen, er hat gestohlen und gelogen!“ In der Regel hatte der Tote es dann „nicht immer leicht gehabt im Leben“. Und in der Regel ist es ja auch so, dass die Menschen in der Kirche den Toten kennen und wissen, von wem sie sich verabschieden. Egal, ob er in der Stunde des Abschiednehmens richtiger- oder unrichtigerweise auf einen Sockel gestellt wurde. Man weiß, mit wem man es zu tun hatte und wer hier von uns gegangen ist. Man spricht über ein Leben und nimmt Abschied von einem Menschen, den man kannte, der sein Leben gelebt hat. 

Wie schwer ist daher, Abschied von einem winzigen Menschen zu nehmen, der auf gar kein Leben zurückblicken konnte, der noch nie ein Wort zu jemanden gesprochen hat, weil er noch gar keine Worte formen konnte, noch keinen Charakter entwickeln konnte? Ist das ein Mensch, den niemand kennt, der niemanden kannte? Existierte er überhaupt? Hat er überhaupt das Recht, dass für ihn eine Trauerfeier ausgerichtet wird? Haben seine Eltern das Recht, Tränen zu vergießen und ihre Mitmenschen mit ihrer Trauer zu belasten? Ich weiß, dass meine Fragen provokativ sind, aber es ist genau das, was ich und viele meiner Schicksalsgefährten erlebt haben: Ein kleiner toter Mensch, der nicht einmal 500 Gramm wiegt, ist vor dem Gesetz kein Mensch gewesen, denn es gibt keine Vorschrift, die verbietet, dass er einfach entsorgt wird. Wenn die Eltern oder die Seelsorger nicht die Hand davor halten, wird das – trotz des neuen Bestattungsgesetzes- auch in Zukunft weiterhin geschehen, so wie es in der Vergangenheit sogar gesetzlich festgelegt war. Aber die Trauer der Eltern ist nicht abhängig vom Gewicht des toten Kindes. Sie ist unermesslich groß,gerade weil diese Eltern nie die Möglichkeit hatten, ihrem Kind die ersten Worte beizubringen, es an die Hand zu nehmen, damit es seine ersten Schritte durch unsere Welt tun kann. Aber sie schämen sich ihrer Trauer, denn sie wird ihnen oftmals nicht zugestanden so wie dem toten Kind kein Grab zugestanden wird, geschweige denn eine üblich-deutsche Beerdigung.

„Stell dir vor, dein Kind wäre mit fünf Jahren an Krebs gestorben! Das wäre doch viel schlimmer!“ Mit dieser Bemerkung wird den Eltern tot geborener Kinder das Recht zum Trauern abgesprochen. Ich werde wütend bei solchen Worten, die angeblich Trost spenden sollen, aber letztendlich die Eltern verschüchtern und isolieren. Wer will entscheiden, welches Leid am größten ist? Ist die Todesart und das Alter des Kindes wirklich entscheidend für das Maß der Trauer und in vielerlei Fällen auch für die Art der Bestattung? 

Ich habe viel gelesen über Krebskinder und Erwachsene, die sich auf Sterben vorbereiten konnten. Ich habe in einer Krebsklinik gearbeitet und erlebt, dass das Gehen für alle einfacher ist, wenn der Sterbende bereit ist und die Angehörigen ihn gehen lassen können. Und ich kann auch bestätigen, dass totkranke Kinder leichter sterben als totkranke Erwachsene. Krebskinder, die keine Hoffnung mehr haben, jammern nicht, dass sie noch so viel vorhatten, noch gar nicht richtig gelebt haben. Ihre Trauer äußert sich in so bescheidenen Worten wie: „Ich hätte so gern noch einen Schneemann gebaut“ oder „ich wäre gern noch einmal Karussell beim Sommersend gefahren!“ Für Jugendliche ist es sogar meist okay, wenn sie wissen, dass jetzt schon ihre Zeit gekommen ist. So wie Kinder überhaupt mit dem Tod eines Menschen viel unkomplizierter umgehen und ihn als etwas Normales dem täglichen Leben zuordnen als wir Erwachsenen es tun. Doch welche Mutter, welcher Vater ist so stark, das totkranke Kind gehen lassen zu wollen? Denn normalerweise sterben die Eltern vor ihren Kindern und niemanden hat sie gelehrt, wie sie damit umgehen müssen, wenn es in ihrem Leben umgekehrt läuft. 

Sterbende suchen sich den Zeitpunkt selbst aus, deshalb sollten wir Respekt davor haben, wenn sie uns ein Zeichen geben, dass es jetzt so weit ist.

 Als meine Oma starb, war sie schon zwei Jahre sterbenskrank und jeder Tag war eine Qual für sie. Der Tod war die Erlösung und wir wünschten ihn ihr schon lange bevor sie starb. Sie starb auf den Tag genau 20 Jahre nach ihrem Mann. Als sie beerdigt wurde, war es für die Jahreszeit viel zu warm und die Sonne brannte auf uns Trauernde herab. Der Himmel hatte keinen Grund zum Weinen, denn meine Oma hatte sich den Tag zum Sterben selbst ausgesucht und war nur dort, wo sie hingehörte, nachdem sie zwei grausame qualvolle Jahre gelitten hatte und wir jeden Tag damit rechneten, es könne ihr letzter sein.

 Meine Oma ist nur ein Beispiel für ungezählte Tote, die gestorben sind, wann sie es für richtig hielten zu gehen. Viele wollten einen bestimmten Tag, ein bestimmtes Ereignis noch einmal erleben oder einen bestimmten Menschen noch einmal sehen, bevor sie friedlich einschliefen. Einige haben bewusst ihren liebsten Menschen aus dem Zimmer geschickt, weil sie allein sterben wollten, andere haben im Krankenhaus mit letzter Kraft gewartet, um in den Armen des geliebten Partners sterben zu können.

 Als meine Tochter starb und ich ihren winzigen, dennoch perfekten Körper sah, war ich beruhigt, dass sie entspannt und unverkrampft da lag. Dadurch habe ich vielen Menschen etwas voraus, die niemals die Gelegenheit hatten, den Verstorbenen zu sehen, sich davon zu überzeugen, dass er friedlich gegangen ist. Mich quälte nie die Ungewissheit, ob meine Regine gelitten hat, denn ich durfte mich davon überzeugen, dass sie sanft in mir gestorben war.

 Ende letzten Jahres war ich selbst in der Situation, wo ich – wie es so schön heißt – mein Leben zu regeln hatte. Ich, die sich mehr als andere mit dem Sterben befasste, die zugegebenermaßen  eine ziemliche Distanz zum Leid der trauernden Eltern entwickelt hatte bzw. entwickeln hatte müssen, entdeckte diese große Distanz auch zum möglichen eigenen Tod. Ich hatte keine Angst und ich fühlte mich auch nicht ungerecht behandelt vom lieben Gott. Ich regelte ganz einfach mein Leben und lebte weiter wie bisher. Keineswegs bewusster, keineswegs intensiver. Ich setzte mich weder mit anderen noch mit mir selbst großartig mit dieser Bedrohung meines Lebens auseinander. Ich machte allerdings auch keine Zukunftspläne und vermied jeden Gedanken an den nächsten Sommer und einen Sommerurlaub. Ich war dankbar, dass es mir gelang, mein Buch bis Anfang Januar zu vollenden und den achten Geburtstag meines Sohnes zu feiern. Ende Januar wurde ich operiert und ich hatte nicht mal am Abend vorher Angst, obwohl mir natürlich klar war, dass es diesmal viel enger für mich werden würde als die ungezählten Male vorher, die mich auf diesem Gebiet zu einem traurigen Profi hatten werden lassen. Was mich am meisten beunruhigt hatte, war die Tatsache, dass es im Falle meines möglichen Todes eine Trauerfeier geben könnte, bei der Dinge über mich erzählt wurden, die mich veranlassen könnten, mich im Grabe umzudrehen, weil es so unendlich peinlich sein könnte oder ganz einfach nicht stimmte. Also regelte ich auch das, den Ablauf meiner eigenen Beerdigung in der Hoffnung, dass meine Wünsche respektiert würden. Aber Angst vor dem Sterben hatte ich nicht. Einige Stunden nach der Operation, die dann noch viel komplizierter geworden war, als man vermutet hatte, wurde mir plötzlich angenehm war und wohlig. Die Übelkeit und die Schmerzen verschwanden und ich hatte das Gefühl im gleißend hellen Sonnenlicht zu schweben. In einem Zeitraffer erlebte ich die Geburt von Julian und Regine und den Verlust meiner kleinen Sternschnuppe. Und ich hörte meine Kinder leise nach mir rufen. Ich habe mich noch nie so wohl und leicht gefühlt und ich bin sicher, dass ich nicht geträumt habe. Es wäre so leicht gewesen, jetzt zu gehen.

Der Spruch „Den eigenen Tod muss man nur sterben, doch mit dem Tod der anderen muss man leben“ hat für mich große Bedeutung.

Die meisten von uns haben Angst vor dem Tod, denn wir wissen nicht, wie Sterben ist und was danach kommt. Daher setzen wir uns auch nicht damit auseinander. Aber wir stellen alberne Vorschriften auf, ab wann ein Mensch auf welche Weise beerdigt werden kann und muss. Und wir machen das Sterben zu einem lukrativen Geschäft. „Umsonst ist der Tod“ ist heutzutage eine Legende! Wenn ein Mensch zuhause stirbt, darf man ihn dort ca. 2 Tage aufbewahren und alle Angehörigen können Abschied nehmen. Wenn ein Mensch im Krankenhaus stirbt, darf man ihn nicht  mit nach Hause nehmen. Er wird gleich in den Leichenkeller gebracht und vor dort in die Aufbewahrungshalle des Friedhofes. Wenn ein Kind im Mutterleib stirbt, dann hat die Mutter auch noch Glück, wenn die Ärzte und Hebammen ihr das tote Kind, ihr Kind, das sie geboren hat, in die Arme legen, geschweige denn, dass man ihr zugesteht, das Kind mit in ihr Krankenzimmer zu nehmen, damit auch die Angehörigen Abschied nehmen können. Nicht selten aber liegt die verwaiste Mutter auf der Wöchnerinnen-Station, so wie die Krankenhaus-Vorschrift es vorsieht. Wem nützen solche Vorschriften? Warum können die Eltern ihr totes Kind nicht mit nach Hause nehmen und die Beerdigung so organisieren, wie sie sie haben wollen? Warum verschwinden diese Kinder, wenn sie keine 500 Gramm schwer waren im Abfalleimer des Krankenhauses und werden mit amputierten Gliedmaßen zusammen verbrannt und entsorgt? Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch nach seinem Tode! Aber wer hat das Recht zu entscheiden, ab wann ein Mensch ein Mensch ist und diese Würde, diese Rechte genießen kann? Mit 499 Gramm noch nicht, aber mit 501 Gramm so gerade eben? Wir Menschen spielen Gott, aber ich glaube nicht, dass Gott immer einverstanden ist mit unserem Spiel.

 


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